Fachkräftemangel – eine enorme Herausforderung für die Region
Der Fachkräftemangel ist in der Schweiz eine grosse Herausforderung, welche sich in Zukunft verstärken wird. metrobasel und der Arbeitgeberverband Basel widmeten dem Thema am 17. November das erste Basel Economic Forum (BEF). Dabei wurde der Fachkräftemangel umfassend beleuchtet und Lösungen präsentiert.
Text: Valentin Ade, erschienen im «metrobasel report 2014» (S. 9-17)
Das Basel Economic Forum, kurz BEF, ist das Wirtschaftsforum für die Metropolitanregion Basel. Das BEF wurde 2013 vom Think Tank metrobasel initiiert und erstmals im November 2014 veranstaltet. Das jährlich stattfindende Wirtschaftsforum soll einen Wissensaustausch ermöglichen, neue Impulse setzen und den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verbänden und Bevölkerung fördern. Am BEF sollen aktuelle und für die Region relevante Themen aufgenommen, beleuchtet und diskutiert werden. Das BEF Basel Economic Forum wird jeweils von metrobasel organisiert. Träger des erstmals durchgeführten Anlasses zum Thema «Fachkräftebedarf und Fachkräftemangel» sind der Arbeitgeberverband Basel und metrobasel.
In seiner Videobotschaft richtete Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann einen Appell an die Schweizer Unternehmer: «Helft mit unser Land offen zu halten!» Der Wirtschaftsminister äusserte sich entsprechend klar, dass es die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitnehmenden brauche. Es gelte gleichzeitig aber auch, hiesige Potenziale zu identifizieren, um einen guten Teil der Fachkräfte für die Zukunft selbst aufzubauen. Dazu nannte er vier Bereiche, in denen der Bundesrat Handlungsbedarf sieht:
1. in der gezielten Aus- und Weiterbildung der einheimischen Arbeitskräfte
2. bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit verbunden der Erhöhung des Arbeitspensums teilzeitarbeitender Personen
3. bei der Weiterführung der Erwerbstätigkeit bis zum Pensions alter und darüber hinaus
4. bei der Innovation, welche die Schweiz fördern muss
«Der Wohlstand unserer trinationalen Metropolitanregion basiert zu einem grossen Teil auf der Verfügbarkeit von hoch- und gut qualifizierten Fachkräften», brachte metrobasel-Direktorin Regula Ruetz die Aktualität des Themas bei ihrer Begrüssung der BEF-Teilnehmenden im Stadtcasino Basel auf den Punkt. Insbesondere die in der Region ansässigen exportorientierten Branchen wie die Life Sciences, die Chemie, die Finanzbranche, die Logistik und Investitionsgüterindustrie sind auf diese Fachkräfte angewiesen. Diese Unternehmen tragen nicht nur einen grossen Anteil zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei; sie bieten auch eine hohe Anzahl an Arbeitsplätzen in der Region an. Aber nicht nur die global tätigen Unternehmen sind auf Fachkräfte angewiesen, auch die Universitäten und Lehrinstitutionen, das Gesundheitswesen, die Baubranche, und viele KMUs kämen ohne diese Fachkräfte nicht aus.
Die Schweiz besitzt dafür bereits hervorragende Voraussetzungen, stellte Grossratspräsident Christian Egeler in seiner Grussbotschaft im Namen der Stadt Basel fest. Um dem Fachkräftemangel in Zukunft verstärkt aus eigener Kraft heraus zu begegnen, müsse jedoch unser duales Bildungssystem unbedingt gestärkt werden.
Denn politische Störfeuer wie Masseneinwanderungs- und Ecopop-Initiative machen die Rekrutierung von Arbeitskräften im Ausland nicht leichter, ermahnte Teddy Burckhardt, Vizepräsident des Arbeitgeberverbands Basel. Burckhardt ging über den Fachkräftemangel hinaus und konstatierte, dass wir mit Blick auf die kommenden Jahre grundsätzlich einen Arbeitskräftemangel haben werden. Doch gab er sich auch zuversichtlich: «Selbst wenn der Fachkräftemangel bereits Realität ist, könnte dieser mit überlegter Bildungspolitik und sensibler Zuwanderungspolitik in den nächsten Jahren nachhaltig abgewendet werden.»
Der demografische Wandel
Nicht nur in unserem Land sieht sich die Gesellschaft dem Problem des Fachkräftemangels ausgesetzt. Unser nördlicher Nachbar Deutschland steht vor der gleichen Herausforderung, nur in einer viel grösseren Dimension. Der BEF-Keynotespeaker, Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Möller, beschäftigt sich seit Jahren auf wissenschaftlicher Basis mit der Thematik. Der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg zeigte die Auswirkungen der älter werdenden Gesellschaft für Deutschland in den nächsten Jahren auf. «Demografie ist schlimmer als die Pest», zeichnete Möller einen dramatischen Vergleich.Wofür die Pest ein Jahrhundert gebraucht hatte, schafft die Demografie innerhalb nur einer Generation: Die Auslöschung eines Drittels der arbeitsfähigen Bevölkerung. Die Arbeitskraft der geburtenstarken Jahrgänge der 50er- und 60er-Jahre wird in den kommenden Jahren nicht adäquat ersetzt. 1,3 bis 1,4 Geburten pro Frau im Durchschnitt seit Jahrzehnten reichen nicht aus, um eine Bevölkerung konstant zu halten. Durch eine gleichzeitig linear wachsende Lebenserwartung (zurzeit: 78 Jahre für Männer und 83 Jahre für Frauen) altert die Gesamtgesellschaft zudem kontinuierlich. Dadurch werden in den kommenden Jahren nicht nur die Sozialsysteme unter Druck geraten. Es besteht zudem auch die Gefahr, dass Fachkräfte in bestimmten Branchen fehlen und so zu einem Wegbrechen zentraler Wirtschaftszweige führen können. Ein Lösungsansatz, so Professor Möller, ist die Aktivierung von nicht ausgeschöpftem Arbeitskräftepotenzial: Ältere Menschen müssen länger im Arbeitsleben gehalten werden und vor allem mehr Frauen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden.
Doch allein das hilft bei weitem nicht, um den Arbeitskräfteschwund zu stoppen. Die Schweiz verzeichnet heute schon die höchste weibliche Erwerbsbeteiligung aller Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Es braucht zusätzlich die Zuwanderung gut- und hochqualifizierter Arbeitnehmer. Ein dramatisches Beispiel: Deutschland bräuchte in den kommenden drei Jahrzenten alleine 400’000 Personen, die pro Jahr netto in das Land einwandern, um die Erwerbsbeteiligung gerade einmal auf heutigem Niveau konstant zu halten. Doch auch die Länder, aus denen die meisten Einwanderer nach Deutschland kommen (Polen, Bulgarien und Rumänien), haben eine ähnliche demografische Entwicklung.
Deshalb wird eine Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus europäischen Staaten die erwerbstätige Bevölkerung auch in der Schweiz auf lange Sicht nicht stabil halten können. Die Entwicklung der schrumpfenden Bevölkerung vollzieht sich aber nicht überall im Land gleich; das ist eine gute Nachricht für Gebiete wie die Metropolitanregion Basel. «Grosse Städte mit dynamischen Wirtschaften verzeichnen Zuwanderung», so Möller. Hier konzentrieren sich Bevölkerung sowie hochqualifizierte Fachkräfte und zwar mit einem sich selbst verstärkenden Effekt. Dort wo attraktive Standortfaktoren für Arbeitnehmende herrschen, zieht es hochqualifizierte, junge Menschen hin, die diese Region noch innovativer und attraktiver für weitere hochqualifizierte, junge Menschen machen. «Smart cities are getting smarter», fasste Professor Möller diese Entwicklung zusammen.
Längerfristige Einflüsse, Trends und Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt sind dabei identifizierbar. Die Nachfrage nach standardisierbaren sowie verlagerbaren Routine- und produktionsnahen Tätigkeiten wird zurückgehen. Interaktive Tätigkeiten mit Standortbezug (Dienstleistungen), lokal vernetze, hochspezialisierte sowie kreative und wissensbasierte Tätigkeiten werden in Zukunft noch stärker nachgefragt.
Personenfreizügigkeit seit den 90er Jahren
Der zukünftige Bedarf an bestimmten Tätigkeiten, Qualifikationen oder Berufsgattungen in den kommenden 15, 20 oder 30 Jahren lässt sich allerdings selbst für «smart cities» leider nicht detailliert vorhersagen. Das machte der emeritierte Professor für Arbeitsökonomie an der Universität Basel, Prof. Dr. George Sheldon, deutlich. Zum Beispiel haben 70 Prozent der IT-Fachkräfte in der Schweiz einen IT-fremden Berufsabschluss und knapp 60 Prozent der Lehrabsolventen in der Schweiz üben einen anderen als den einst erlernten Beruf aus. Das stellt die Berufsbildungspolitik vor grosse Herausforderungen und kann dazu führen, dass beispielsweise heutige staatliche Kampagnen für bestimmte Berufe in der Zukunft kontraproduktiv wirken können. «Langfristige Prognosen zum Bedarf an spezifischen Fachkräften, die in zehn bis 20 Jahren gesucht sind, können nicht im Detail gemacht werden», so Sheldon. Dagegen lässt sich die hohe Treffsicherheit einer Prognose nur zu Lasten der Präzision ihrer Aussagen erzielen.
Drei Trends sind jedoch absehbar: Die globale Arbeitsteilung wird voranschreiten, der bildungsintensive technische Wandel und die Tertiarisierung der Berufswelt (Zunahme hoher Bildungsabschlüsse) werden sich fortsetzen. Das hat Folgen für die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte. Spielte bis 1970 angesichts Vollbeschäftigung die Bildung eines Arbeitnehmers für die Beschäftigung eine weniger grosse Rolle, lag die Arbeitslosigkeit von Menschen ohne Schulabschluss im Jahr 2010 in der Schweiz um den Faktor drei höher als für Personen mit einem Studium oder einer Höheren Berufsbildung. Diese Entwicklung hatte auch Auswirkungen auf die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland. Kamen bis Mitter der 80er-Jahre vor allem ungelernte Fachkräfte in die Schweiz, sind es ab Mitte der 90er-Jahre mehrheitlich hochqualifizierte Nettozuwanderung von 400’000 Personen p.a. (50 bis 60 Prozent). «Seit den 90er-Jahren herrscht bereits Personenfreizügigkeit», merkte Sheldon zudem an. Denn die Kontingente, die es damals noch gab, wurden zu keinem Zeitpunkt voll ausgeschöpft. Seit damals stieg der Bildungsstand der Schweiz stark an. Bald werden 60 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz einen tertiären Abschluss vorweisen.
Sheldon zog aus seinen Beobachtungen folgende Konsequenzen: Angesichts der Vielzahl von Unschärfen und prognostischen Unsicherheiten bezüglich des Fachkräftebedarfs, sollte das Bildungssystem für hohe berufliche Flexibilität sorgen. Deshalb soll in der (Aus-)Bildung der Schwerpunkt auf die Vermittlung von Kernkompetenzen gelegt werden, welche den Zugang zu verschiedenen Berufen ermöglichen. «Nicht Bildungswege, sondern Bildungsziele und Leistungsanforderungen sind vorzugeben», so Sheldon, damit verschiedene Qualifizierungsprozesse zum gleichen Abschluss führen können. Eine Modularisierung von Bildungsgängen ermöglicht nachträgliche Korrekturen oder Ergänzungen von bereits bestehenden Qualifikationen. Zuletzt ist die Zuwanderung fehlender Fachkräfte aus dem Ausland aber unabdingbar.
«nachgeforscht»
In der anschliessenden «nachgeforscht»-Runde mit Felix Erbacher, Journalist, Autor und ehemaliger Wirtschaftschef der Basler Zeitung, plädierte Sheldon zudem für ein Mehr an Berufsberatung, welche bereits in den Schulen beginnen sollte. Und Joachim Möller sprach sich dafür aus, in Zukunft auch Personen die Chance einer Ausbildung zu geben, die sich rein durch ihre schulischen Leistungen nicht dafür qualifizieren würden. Diese Lehrabgänger würden sich später oft durch eine grosse Treue und Loyalität gegenüber dem Ausbildungsbetrieb erweisen.
Globaler Wettbewerb
Konkrete Zahlen zum Phänomen des Fachkräftemangels in der Schweiz lieferte Dr. Wolfram Kägi, Geschäftsführer des Basler Beratungsunternehmens B,S,S. Insgesamt 36 Prozent der Schweizer Beschäftigten arbeiten in einem Berufsfeld mit Verdacht auf Fachkräftemangel. Dieser ist in den Feldern Geschäftsleitung (8,3 Prozent am Total der Beschäftigten) und Gesundheitswesen (4,7 Prozent) besonders gravierend. Im Bereich der Gesundheit identifizierten Kägi und seine Kollegen 25 verschiedene betroffene Berufe. In zehn davon (40 Prozent) herrscht bereits heute akuter Fachkräftemangel. «Wir sagen schon lange, dass wir im Gesundheitswesen ein Fachkräfteproblem haben, die Studie zeigt das nun deutlich auf», zittiert Kägi eine Mitarbeiterin der Bundesverwaltung. In den vergangenen zehn Jahren fehlten in unserer Region insbesondere Naturwissenschaftler, Ingenieure und Informatiker. Deshalb verzeichnen wir in diesen Berufen eine grössere Zuwanderung aus dem Ausland als im gesamtschweizerischen Durchschnitt.
Breakout Session
Ausbildung ist ein langfristiger Prozess, wohingegen offene Stellen möglichst schnell besetzt werden müssen, zeigte Joachim Möller in der Breakout Session unter der Moderation von Kantonalbanken-präsident Professor Dr. Urs Müller die Problematik auf. In Übergangsphasen kann es deshalb in der Wirtschaft zu gravierenden Problemen kommen. Denn wenn diese Fachkräfte hier nicht erhältlich sind, würden die Unternehmen Standorte dorthin verlegen, wo sie die geeigneten Fachkräfte in ausreichender Anzahl vorfinden. Die Situation in der Region würde zusätzlich verschärft, wenn es sich dabei um nicht besetzbare Stellen mit Hebelwirkung handelt, sprich um Stellen, von welchen weitere Arbeitsplätze abhängig sind. Ein genereller Fachkräftemangel liegt in der Schweiz noch nicht vor, allerdings herrscht bereits akuter Mangel in einigen Teilbereichen. Mit Blick auf das Werben um gut- und hochqualifizierte Arbeitskräfte sagte Dr. Nicole Weiland-Jaeggi, CEO der Labor- und Diagnostikunternehmen Endotell und Xenometrics: «Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb.» Das würde bei der Schweizer Bevölkerung oft nicht wirklich wahrgenommen.
Professor Theodor Sproll, Rektor der dualen Hochschule in Lörrach lenkte die Diskussion auf die weichen Standortfaktoren. Junge Leute sind heute gut ausgebildet und hochmotiviert «aber sie wollen nicht nur Geld verdienen, sondern sich auch selbst verwirklichen». Auf das Job-Umfeld und auf die Bedürfnisse dieser jungen Leute achten einige Arbeitgeber heute immer noch zu wenig. Boris Kraft, Chief Visionary Officer des IT-Unternehmens Magnolia International, ging in seinen Aussagen insbesondere auf die Aus- und Weiterbildung ein und kritisierte in diesem Zusammenhang: «Es fehlt der Wille der Politik, die IT Ausbildung in Basel zu stärken». Die letzten zehn Arbeitnehmer, die er eingestellt hat stammen aus Vietnam. In der Schweiz sei er froh, wenn er überhaupt fünf gutqualifizierte Informatiker im Jahr fände. Als stark exportorientiertes Unternehmen in einer globalen Weltwirtschaft kann man auf der Hochpreisinsel Schweiz nur dann bestehen, wenn man innovativer ist, als die Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Preisstrukturen, so Kraft. Leider bildet die Schweiz dafür selber zu wenig IT-Spezialisten aus, weshalb diese aus dem Ausland geholt werden müssen. Hier braucht es unbedingt ein Umdenken: «Es ist nicht die Schweiz, die attraktiv für Fachkräfte ist. Es ist die Fachkraft, die attraktiv für die Schweiz ist», sagte Kraft. Deshalb muss man alles daran setzen, diese Menschen hier willkommen zu heissen. «Wir brauwerden müssen. Hier braucht es unbedingt ein Umdenken: «Es ist nicht die Schweiz, die attraktiv für Fachkräfte ist. Es ist die Fachkraft, die attraktiv für die Schweiz ist», sagte Kraft. Deshalb muss man alles daran setzen, diese Menschen hier willkommen zu heissen. «Wir brauchen sie!» Mit Blick auf die Masseneinwander-ungs- und Ecopop-Initiative stellte Weiland-Jaeggi zudem grundsätzlich fest: «Ich will für meine Firmen die qualifizierten Fachkräfte holen, die ich brauche und nicht von der Politik gebremst werden.» Ist das nicht möglich, werden sich einige Unternehmen überlegen, in andere Länder beispielsweise nach Deutschland abzuwandern oder einzelne Abteilungen ins Ausland zu verlagern.
Staatliche Aufgaben
In gewissen Branchen der Wirtschaft besteht heute ein akuter Fachkräftemangel, da der Grossteil des Jobwachstums der vergangenen acht Jahre im staatlichen und parastaatlichen Sektor stattfand, wie Dr. Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft, in seinem Refarat deutlich machte. Der Staat ist also primär der Treiber des Fachkräftemangels (beispielsweise im schon erwähnten Gesundheitswesen), erst an zweiter Stelle die private Wirtschaft. 2011 hat der Bund eine Fachkräfteinitiative gestartet, um das Problem des Fachkräftemangels zu entschärfen. «Dabei ist es aber nicht die Aufgabe des Bundes, Fachkräfte zur Verfügung zu stellen», monierte Zürcher. Der Staat ist lediglich dafür verantwortlich, geeignete Rahmenbedingung zu schaffen.
Diesen Ball nahm Rudolf Strahm, SP-Politiker und ehemaliger Preisüberwacher, in seinem Vortrag sogleich auf. In der Medizin kamen beispielsweise 4’000 Bewerber auf nur 1’100 Studienplätze im Jahr 2011, gleichzeitig mussten 1’200 Ärzte aus dem Ausland rekrutiert werden. Auch die Pflegelücke, die seit zehn Jahren besteht, ist ein Fall von Fehlsteuerung: 4’500 mehr Jugendliche wollten nämlich im April dieses Jahres eine Ausbildung in einem Pflegeberuf machen, als dass es Ausbildungsplätze gab. Hier sei der Staat gefragt, Abhilfe zu schaffen, denn die Ausbildung in Medizin und Pflege liegt in seiner Hand, so Strahm. Auch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist aus Strahms Sicht teilweise hausgemacht. Seit einer Reform Mitte der 90er-Jahre seien die Gymnasien in der Schweiz zu sprachenlastig, MINT-begabte Schüler würden dadurch benachteiligt. Das führe an den Universitäten zu einem Übergewicht der geisteswissenschaftlichen Fächer (67 Prozent im Schweizer Durchschnitt). «Wenn sie die Universitäten sich selbst überlassen, produzieren sie am Arbeitsmarkt vorbei», monierte Strahm und plädierte für Gegensteuer.
Dabei muss längst nicht jeder ein Universitätsstudium absolvieren. Der Trumpf der Schweiz liegt im Gegenteil in der Höheren Berufsbildung (HBB). Die meisten Fachkräfte im Land haben keinen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss (15 Prozent), sondern die HBB, die im Übrigen auch zur tertiären Ausbildung gezählt wird. Wie Strahm feststellte, ist die HBB ist tragende Ausbildung für die Schweizer KMU-Landschaft. Sie erfolgt berufsbegleitend und bezieht in praktischer Weise die neuesten Techniken und Prozesse mit ein. Dies sorgt für eine «skilled workforce» im Lande, also Fachkräfte, die es verstehen, hoch spezialisierte Verfahren zu entwickeln und anzuwenden. Auch deswegen besetzt die Schweiz in internationalen Vergleichen stets die höchsten Plätze. Es gilt Personalmanagern, die nicht aus Ländern mit einer dualen Berufsausbildung kommen, klar zu machen, dass die Schweizer HBB einem Universitätsabschluss in nichts nachsteht und manchmal sogar geeignetere Qualifikationen vermittelt. Strahm sprach sich zudem auch dafür aus, dass brachliegende Potenzial an Fachkräften stärker auszunutzen. Schul-, Studiums- und Ausbildungs-Abbrecher, Frauen und ältere Arbeitnehmer müssen wieder oder länger für die Berufswelt gewonnen werden.
Schädliche Initiativen
Einer der um die Vorzüge der Schweizer Berufsausbildung weiss, ist Dr. Thomas Bösch, Head of Human Resources Switzerland bei Novartis. In Basel arbeiten beim Pharmaunternehmen Schweizer, Ausländer und Grenzgänger zu je einem Drittel. «Wenn wir für den internationalen Markt produzieren, brauchen wir diesen Mix», sagte Bösch. Auch zwischen den Generationen müsse die Mischung stimmen, um einen optimalen Wissensaustausch zu gewährleisten. Um auch in Zukunft genügend Fachkräfte zu bekommen investiert Novartis, in den nächsten fünf Jahren 50 Millionen Franken in 25 Initiativen, um junge Menschen für Naturwissenschaften zu begeistern. Bösch trat zudem dem Vorurteil entgegen, dass Ausländer zu Gunsten von gleichwertig ausgebildeten Schweizern bevorzugt würden. «Die lokale Verankerung ist ein Vorteil bei der Rekrutierung», meinte Bösch. Die Integration von Ausländern dagegen ist teuer. Dennoch braucht ein international agierender Konzern wie Novartis Zugriff auf den Weltmarkt für hochqualifizierte Fachkräfte. Bösch warnte in diesem Zusammenhang auch vor der politischen Einschränkung der Zuwanderung durch Masseneinwanderungs- und Ecopop-Initiative.
Auch die Universität ist auf ein Mehr an Fachkräften angewiesen, wie Christoph Tschumi, Verwaltungsdirektor der Universität Basel ausführte und steht dabei wie Novartis im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe. Von 2006 bis 2012 wuchs der Personalbestand der Universität von 30’609 auf 39’228 Personen und damit um 28 Prozent. Der Ausländeranteil liegt heute bei 43,5 Prozent, der Frauenanteil bei 22,9 Prozent. Tschumi hob zudem die Qualität der Schweizer Hochschulen hervor. «Rund 80 Prozent der Schweizer Studierenden lernen hier an einer der weltweit Top-200-Universitäten». Der Verwaltungsdirektor bezog sich dabei auf das angesehene Times Education World University Ranking. Eine erfreuliche Entwicklung ist, dass seit 2004 die technischen Wissenschaften das stärkste Plus an Studierenden in der Schweiz von 5,2 Prozent verzeichnen. Die Medizin (+3,8 Prozent) und die Naturwissenschaften (+3,2 Prozent) haben ebenfalls zugelegt.
Mehr Ausbildungsplätze
Diese Entwicklung dürfte Dr. Peter Eichenberger, CEO der St. Clara Gruppe und des Claraspitals, freuen. Denn die Spitalwelt der Nordwestschweiz ist mit 16’957 Beschäftigten der grösste Arbeitgeber der Region. Zudem sei eine hervorragende Gesundheitsversorgung ein wesentlicher Teil der Standort-Attraktivität für multinationale Unternehmen und wohlhabende Einzelpersonen, meinte Eichenberger. Dennoch zeigte er sich besorgt um den ärztlichen und pflegerischen Nachwuchs. Rund 1’000 Ärzte würden im Jahr in der Schweiz fehlen, diese müssen aus dem Ausland rekrutiert werden. Der Trend lässt vermuten, dass künftig doppelt so viele Ärzte und Ärztinnen gebraucht werden, wie momentan an den sieben Medizinfakultäten in der Schweiz ausgebildet werden. Eine Konsequenz der älter werden Gesellschaft ist, dass bis 2020 mindestens 25’000 zusätzliche Fachleute gebraucht werden. Dazu werden bis 2020 rund 60’000 Gesundheitsfachleute pensioniert, die ersetzt werden müssen. Es müssen daher mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Eichenberger berief sich auf eine Studie wonach 2’500 Betrieben, die ausbilden, 1’000 Betriebe gegenüberstehen, die nicht ausbilden. Dabei erzielen Lernende für die ausbildenden Betriebe in der Schweiz schon während der Lehrzeit einen Nettonutzen. Wenn die fertig ausgebildete Fachkraft nach der Lernzeit zudem im selben Betrieb beschäftigt wird, amortisieren sich die Ausbildungskosten ohnehin.
Ein enormes Beschäftigungswachstum haben in den vergangenen Jahren auch die Berufe des ICT-Bereichs (Informations- und Kommunikationstechnologie) wie Andreas Kaelin, Geschäftsführer ICTswitzerland und Präsident der ICT-Berufsbildung Schweiz, zuletzt eindrucksvoll aufzeigte. Bis 2022 besteht allerdings ein zusätzlicher Fachkräftebedarf von 87’000 Personen. 39’500 davon müssen über Zuwanderung gedeckt werden, weswegen die Masseneinwanderungs- und Ecopop-Initiative auch für die ICT-Branche eine Bedrohung darstellt. «Die Schweiz «verzichtet» auf gut bezahlte Arbeitsplätze», so Kaelin. Es besteht das Risiko, dass Arbeitsplätze dauerhaft ins Ausland verlegt werden müssen.
Studium ist kein Menschenrecht
Das erste BEF wurde mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen, welche von der Journalistin und Medienwissenschaftlerin, Olivia Kühni, moderiert wurde. Dabei ging sie auf einzelne Aussagen von Referenten und auf Ergebnisse des Tages ein und stellte diese zur Diskussion: «Wir haben eine Wirtschaft, die grösser ist als das Arbeitskräftepotenzial des Landes, weshalb die Personenfreizügigkeit unabdingbar geworden ist», so Dr. Patrik Schellenbauer, Geschäftsleitungsmitglied von Avenir Suisse. Und obwohl ein Mangel an Hochqualifizierten herrscht, «brauchen wir auch Angestellte, die einfachere Aufgaben erledigen», sagte Monika Ribar, Vizepräsidentin der SBB. Gemäss Nadine Gembler, Leiterin Personal und Ausbildung bei Coop, ist auch der Detaillist mit seinen rund 72’000 Mitarbeitenden aus 192 Nationen «auf Gedeih und Verderb von der Grundausbildung abhängig». Eine Möglichkeit, um mehr junge Menschen statt auf die Universität in eine Ausbildung zu bringen, sieht der Chefredaktor und Verleger der Basler Zeitung, Markus Somm, darin, den Zugang zur Universität zu beschränken. «Das Studium ist kein Menschenrecht», so Somm, «Bildung muss als Investition angesehen werden.».
Das erste BEF machte bis zum Schluss deutlich, dass der Fachkräftemangel für einige Branchen bereits bittere Realität ist und er in Zukunft sich noch verstärken wir. Es wurde aber auch ein breiter Strauss von Massnahmen aufgezeigt, wie dagegen anzugehen ist.