«Wie bleiben unsere Unternehmen wettbewerbsfähig?»
Das Basel Economic Forum, kurz BEF, ist das Wirtschaftsforum für die Metropolitanregion Basel. Es wurde vom Think Tank metrobasel initiiert und erstmals 2014 veranstaltet. Das zweite BEF vom 23. November 2015 befasste sich mit der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Entscheidungsträgeräusserten sich zu aktuellen Herausforderungen und möglichen Lösungsansätzen.
Text: «metrobasel report 2015» (S. 20-25)
Das BEF Basel Economic Forum 2015 war gut besucht. Regula Ruetz, Direktorin von metrobasel, eröffnete das zweite BEF und begrüsste die Anwesenden aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. In ihrer Einführungsrede ging Ruetz auf aktuelle Herausforderungen für die Wirtschaft und auf die bestehende Rechtsunsicherheit ein: „Die Wirtschaft ist auf kompetitive Rahmenbedingungen und vorteilhafte Standortfaktoren angewiesen. Diese haben sich jedoch in den letzten Monaten im internationalen Vergleich massiv verschlechtert“, gab sie zu bedenken. Als grosse Herausforderungen, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stark beeinträchtigen, nannte sie den hohen Frankenkurs, die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und die laufend zunehmende Flut an Regulierungen. Während insbesondere die exportorientierten Unternehmen, der Detailhandel und der Tourismus schlagartig und massiv von der Euroschwäche respektive vom Frankenschock am 15. Januar getroffen worden seien, verursachen neue unnötige Regulierungen schleichend höhere Aufwendungen und Marktbehinderungen für die gesamte Wirtschaft. Wie die Masseneinwanderungsinitiative MEI im Einvernehmen mit der EU zudem umgesetzt werden könne, sei noch völlig offen. Dies führe zu einer grossen Unsicherheit bezüglich der Verfügbarkeit von dringend benötigten qualifizierten Fachkräften. Gleichzeitig stehe auch noch die Unternehmenssteuerreform III an, denn auf Druck der OECD und der EU sollen die Steuerprivilegien für Holdinggesellschaften abgeschafft werden. Da brauche es eine ausgewogene Lösung, damit nicht einerseits grosse Firmen wegen massiv höheren Unternehmensgewinnsteuern abwandern, und andererseits die öffentliche Hand Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe wegen dem reduzierten Unternehmenssteuerzinssatz verzeichnen müsse. „Wollen wir auch weiterhin eine erfolgreiche Wirtschaftsregion bleiben, dann brauchen die Unternehmen Rechtssicherheit und stabile Rahmenbedingungen“, schloss sie ihre Eröffnungsrede.
Was genau ist eigentlich «Wettbewerbsfähigkeit»? Auf diese Frage ging Barbara Gutzwiller, Direktorin des Arbeitgeberverbands Basel, in ihren Ausführungen ein: «Unternehmen sind dann wettbewerbsfähig, wenn sie im Vergleich zu anderen Anbietern ihre Produkte oder Dienstleistungen entweder besonders günstig oder qualitativ besonders gut herstellen können.» Es existiere somit ein Wettbewerb über den Preis, die Leistungsfähigkeit und die Qualität. Die Schweiz schneide zwar in verschiedenen Rankings bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren gut ab, in der jüngeren Vergangenheit seien jedoch Entscheide gefällt worden, welche der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Forschungs- und Entwicklungsstandorts schaden können und zu einem Klima der Unsicherheit führen. Neben der Masseneinwanderungsinitiative und der Aufwertung des Schweizer Frankens nannte Gutzwiller unnötige bürokratische und praxisferne Vorschriften wie die Arbeitszeiterfassung oder die Verordnung zum neuen Lebensmittelgesetz. In die richtige Richtung gehe die Fachkräfteinitiative des Bundesrates gegen den Fachkräftemangel und für die bessere Nutzung von inländischen Fachkräftereserven.
In seiner Grussbotschaft ging Regierungsrat Christoph Brutschin auf die Bildung ein. Die Universität sei für die Region ein wichtiger Standortfaktor. „Die Regierung unternimmt alles, damit unsere Universität weiterhin geordnet arbeiten kann und eine wichtige Institution in unserer Region bleibt.“ Ein zweites Problemfeld, das Brutschin erwähnte, war der schwache Euro. Das habe es zwar immer wieder gegeben, aber problematisch ist diesmal, dass die Frankenaufwertung schlagartig erfolgte: „Nichts ist für die Wirtschaft so schädlich wie Schocks“. Es gibt aber nicht nur Schatten, sondern auch Licht. „Was wir brauchen, sind innovative Firmen“, meinte Brutschin. Und da sei man auf gutem Weg: In Allschwil wurde kürzlich der Nordwestschweizer Netzwerkstandort des Schweizer Innovationsparks in Betrieb genommen. In der Region werde auf verschiedensten Stufen geforscht: In Allschwil wird präkompetitive Forschung betrieben, während im Technologiepark Stücki viele Jungunternehmen tätig sind. Ernst wird Brutschin bei der derzeitigen Frage zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative: „Der Einsatz ist eindeutig zu hoch, wenn die Bilateralen Verträge mit der EU auf dem Spiel stehen.“ Auch müsse man dafür sorgen, dass die Bürokratie nicht beliebig ansteigt. Bei jeder Anstellung den Inländervorrang nachzuweisen, sei eine aufwendige Arbeit, meinte Brutschin.
Regionen im Wettbewerb
Prof. Dr. Rolf Weder, Professor für Aussenwirtschaft und Europäische Integration, äusserte sich in seinem Referat zur Wettbewerbsfähigkeit von Regionen. Letztlich gehe es darum, sowohl eine hohe Standortattraktivität wie auch eine hohe Produktivität vorweisen zu können. Was beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit? Alles! Sogar der Zufall sei wichtig, wie etwa die Erfindung von Farbstoffen und deren spätere Produktion in Basel, die als Grundstein für die chemische Industrie gilt. Er zeigte auf, dass Wettbewerbsfähigkeit die Summe von vielen Faktoren ist, welche Firmen eine hohe Produktivität ermöglichen: Arbeitskräfte und Know-How, Gesetzgebung, gute Zugangsbedingungen zu anderen Märkten und qualitativ hochstehende inländische Nachfrage. Für die Produktionssteigerung ist zusätzlich der Wettbewerb innerhalb von Branchen zentral, denn dieser fördert die Dynamik von Entwicklungen. Ein gutes Beispiel dafür sind die grossen Pharmafirmen auf dem Platz Basel. Zentral sei jedoch das Humankapital, also die verfügbaren Fachkräfte. An zweiter Stelle stehe der Zugang zu den Märkten.
Der hohe Frankenkurs führe dazu, dass Basel für qualifizierte ausländische Arbeitskräfte wegen der höheren Löhne in Euro attraktiver werde. „Das ist im Werben um Talente ein Wettbewerbsvorteil.“ Im Prinzip müssen allerdings Nominallöhne in Franken bei fallenden Preisen sinken. Eine Einführung von Eurolöhnen für Grenzgänger erachtet er als Chance für die Grenzregion. Er fügte aber an, dass er nie vorschlagen würde, in der Schweiz wohnhafte Arbeitnehmende in Euro zu bezahlen. Weil die bilateralen Abkommen mit der EU möglicherweise gefährdet seien, fordert er ein multilaterales Freihandelsabkommen: „Warum nicht einen „kleinen Grenzverkehr“ auch für Güter einführen, zum Beispiel zwischen Baden-Württemberg und den nördlichen Kantonen?“, stellte er als Hypothese in den Raum.
Im kurzen Interviewformat „nachgeforscht“ diskutierte der Ökonom, Prof. Dr. Urs Müller, Präsident des Schweizerischen Kantonalbankenverbandes, mit Rolf Weder die Zusammenhänge zwischen Produktivität und Attraktivität. Für Basel sei das breite Kulturangebot und die Grenzgängersituation, welche die Verfügbarkeit von Fachkräften erhöhe, sicherlich ein Vorteil. Weder: „Der Zufall kann für die Entstehung neuer Ideen von Bedeutung sein, was aber eine Stadt, eine Region daraus macht, ist zentral. Auf jeden Fall sollte die Politik die Firmen in ihrer Innovation nicht unnötig bremsen.“
Komplexe Steuermaterie
Nein, eine «Lex Basel» sei die derzeit laufende Unternehmenssteuerreform III (kurz: USR III) nicht, sagte Adrian Hug, Direktor der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Basel habe sich aber in der Diskussion um die USR III sehr gut eingebracht. Um was geht es? Basel ist für internationale Firmen ein steuerlich attraktiver Standort. Viele in der Region ansässige Firmen profitieren von einem im Steuergesetz vorgesehenen, sogenannten Sonderstatus. Das heisst, die Konzerngewinne fliessen nur zu einem reduzierten Teil in die Besteuerung in der Schweiz ein. Seit einiger Zeit werden derartige Steuerprivilegien für internationale Unternehmungen seitens der EU, OECD und G20-Staaten kritisiert. Und einmal mehr ist die Schweiz im Fadenkreuz. Als Grundsatz wird gefordert, dass die Gewinne in jenen Ländern versteuert werden sollen, in welchen die Wertschöpfung effektiv anfällt. Im Rahmen der OECD zeichnet sich zu diesen Fragen ein Standard ab, welcher in einigen Staaten bereits angewendet wird und weitestgehend akzeptiert ist: In der Schweiz werden die Sonderstatus-Bestimmungen aufgehoben, neu sollen Unternehmungen aber die Möglichkeit für eine privilegierte Besteuerung von Gewinnen aus Patenten (sogenannte Patentboxen) erhalten und für Forschung und Entwicklung erhöhte steuerliche Abzüge machen können. Da es in Basel und auch in der Restschweiz viele forschende Firmen gibt und solche, welche Patente halten, könnte die USR III der Königsweg für die Schweiz sein. Der Bund unterstützt die Kantone mit einem erhöhten Anteil an der direkten Bundessteuer im Umfang von rund einer Milliarde Franken. Wie die Kantone diese zusätzlichen Mittel einsetzen, ist in ihrer Kompetenz, sagte Hug. Einbehalten – oder Firmensteuern flächendeckend senken. In Basel würde der Mehrertrag wohl zur Steuerreduktion für forschende Firmen eingesetzt. Der früheste Zeitpunkt für das Inkrafttreten der USR III könnte 2017 sein. Danach wird den Kantonen eine Frist von zwei Jahren bleiben, um ihre kantonalen Steuergesetze anzupassen.
Steuerparadies Schweiz?
Marco Salvi, Ökonom beim Think Tank Avenir Suisse stellte fest: «Wir werden aus einem Steuerparadies vertrieben» – man könnte auch sagen: Das Steuerparadies wird aus der Schweiz vertrieben. Dennoch: Die Besteuerung in der Schweiz bleibe aus Sicht der Ökonomen für die Konsumsteuer attraktiv, die Steuern auf Lohneinkommen inklusive der zweiten Säule hingegen in etwa auf dem Niveau von Frankreich und Deutschland. Heute sei der Druck aus dem Ausland betreffend der Besteuerung von Unternehmen relativ geschlossen organisiert. Das könne sich aber ändern. In den vergangenen 16 Jahren habe sich zudem gezeigt, dass selbst bei fallenden Steuersätzen die Steuereinnahmen steigen.
Breakout Session - Diskussionspanel
Auf dem Podium unter der Leitung von Dr. Peter Herrmann, Group Compliance Officer Actelion diskutierten Rolf Weder, Adrian Hug und Marco Salvi die Frage «Wie bleiben unsere Unternehmen wettbewerbsfähig - was kann die Wirtschaft tun und was die Politik beitragen? Als ein Bundesrat damals fragte, was man für die neu gestartete Actelion tun könnte, lautete die lapidare Antwort: „eigentlich nichts“, erzählte Herrmann. Auf dem Podium war man sich diesbezüglich einig: Der Staat muss für gute Infrastrukturen sorgen: die verkehrstechnische Erreichbarkeit, vorteilhafte Steuern, eine unabhängige Gesetzgebung, Patentschutz, die Dialogbereitschaft der Behörden und die Nähe zu Universitäten und Hochschulen. Zentral ist jedoch der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu hochqualifizierten Fachkräften. Wenn ein Unternehmen diesen nicht hat, entscheidet es sich gegen die Region. In diesem Punkt war man sich einig. Auf die Frage, was passiere, wenn die USR III nicht umgesetzt wird, meinte Hug: „Der internationale Druck bleibt bestehen. Wir werden die Privilegien abschaffen müssen, sonst kommt es zu Nachteilen für die exportorientierte Wirtschaft.“ Salvi meinte, Erfolg sei schwer planbar. Es hätte zehn Jahre gebraucht, bis man merkte dass die Rohstoffbranche in Genf angekommen sei. Ähnlich war es mit der Modebranche im Südtessin: niemand habe damit gerechnet. Deshalb sollen sich die Politiker vor allem auf die Rahmenbedingungen konzentrieren.
Nach der Breakout Session, an der sich die BEF-Teilnehmenden mit Fragen, Ausführungen und Inputs beteiligen konnten, wurden die Diskussionen beim Lunch im Festsaal weitergeführt. Äusserten sich am Morgen hauptsächlich Referenten aus der Wissenschaft und Verwaltung, so startete das Nachmittagsprogramm um 13.30 Uhr mit Referenten aus der Wirtschaft und Politik.
Wirtschaftlicher Ausblick
Felix Brill, CEO von Wellershoff & Partners Ltd., referierte zu «Die Schweizer Wirtschaft zwischen Stabilität und Wandel»: Nach der Freigabe des Eurokurses sei voreilig die Krise ausgerufen worden. Statt in die Knie zu gehen, habe sich die Schweizer Wirtschaft einmal mehr als ausgesprochen widerstandsfähig und robust erwiesen. Die Nachfrage im Inland und im Bau bewege sich auf hohem Niveau und wirke entsprechend stabilisierend. Im nächsten Jahr dürften dann auch wieder mehr Impulse von der Exportwirtschaft kommen. Denn zum wichtigsten Hauptabsatzgebiet der Schweizer Wirtschaft sagte Brill: „Die Konjunkturerholung in der Eurozone ist auf gutem Weg.“ Hinzu komme, dass der Gegenwind im Zuge der bereits eingesetzten Abschwächungstendenz beim Schweizer Franken weiter abnehmen werde. Brill sieht die Konjunkturentwicklung der kommenden Jahre insgesamt positiv: „Wir sind wohl mit einem blauen Auge davon gekommen. Da der Schweizer Markt jedoch zunehmend gesättigt ist, rücken die ausländischen Absatzmärkte noch mehr in den Fokus.“
Die KMU im Überlebenskampf
„Der Kampf der KMU um Wettbewerbsfähigkeit - und was leistet die Politik dazu?“ Peter Dietrich, Direktor vom Verband Swissmem, welcher rund 1‘000 Mitgliedsfirmen vertritt, beschrieb die Herausforderungen, welche aufgrund der Währungssituation in der Maschinen-, Elektro-, Branche entstanden und z.T. noch bevorstehen: 35% der Firmen erwarten 2015 laut einer Mitgliederumfrage operative Verluste wegen des Wechselkurses. Es musste rasch reagiert werden. Um das Geschäft am Laufen zu halten, senkten dreiviertel der Betriebe ihre Preise. 30 % der Unternehmen planten in der Folge eine Arbeitszeitverlängerung, 21 % ziehen eine solche in Betracht, 22% denken sogar an Verlagerungen von Arbeitsplätzen in den Euroraum oder an Auslandinvestitionen. Was kann die Politik in dieser Situation machen? Gute Rahmenbedingungen schaffen. Diese seien in den vergangenen vier Jahren jedoch nicht verbessert worden, kritisierte Dietrich. Grossprojekte wie Energiestrategie 2050, Altersvorsorge 2020, Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative oder Swissness sind Themen, die mit belastenden Elementen versehen sind und Unsicherheit auslösen.Es wiege besonders schwer, wenn Schweizer Firmen die einzigen auf der Welt seien, die derart harte Regulierungen erfüllen müssen.
Thomas Cueni, Generalsekretär des Verbandes Interpharma, stellte im „nachgeforscht“ Fragen an Peter Dietrich zum Freihandelsabkommen. “Bezüglich Handelsvolumen sind wir sehr interessiert an einem mit den USA. Das hatten wir versenkt, sollten es jetzt aber wieder an die Hand nehmen“, schlug Dietrich vor. Die Industrie habe vor der Abstimmung gegen die Masseneinwanderungsinitiative gekuscht, kritisierte Cueni. Dietrich verneinte dies und verwies auf die umfassende Kampagne dagegen. Demgegenüber hätten z.B. die Gewerkschaften und die SP zu wenig gemacht und die Initiative unterschätzt.
Preissenkungen bei Coop
In seinem Referat «Wie besteht Coop im herausforderungsreichen Wettbewerbsumfeld?» ging Reto Conrad, Coop-Finanzchef und Schweizer CFO des Jahres 2011, zuerst auf die Situation des Detailhandels ein: „Wir haben heute ein Preisniveau wie vor 25 Jahren.“ Schaue man auf die letzten 15 Jahre, so sei Nonfood 19,2% billiger geworden, Food 8,8% teurer, zusammen -6,6%. Gleichzeitig haben die Nominallöhne 30% zugelegt. Es sei schon beeindruckend, in welchen Raten der Einkaufstourismus wachse. In der Schweiz habe es, laut Aussage von Bundesrat Schneider-Ammann, bereits 6000 Jobs und 11 Milliarden Umsatzverlust gekostet. Gleichwohl investiere Coop, beispielsweise in das Logistikzentrum Jegenstorf oder in den neuen Produktionsstandort in Pratteln. Starkes Wachstum weise der Onlinehandel auf. Auf die Frage von Cueni, ob man gegen die Welle „Geiz ist geil“ angehen könne, antwortete Conrad: „Coop hat die Preise bei über 13000 Produkten gesenkt. Wir wollen zudem die Positionierung mit Lebensmittel lokaler Herkunft forcieren“. Conrad forderte: „Wir sollen Direktimporte tätigen können, und zwar ohne gesetzliche Hemmnisse.“
Pharma als Lokomotive
«Wie bleibt unsere Region für die Pharmaindustrie attraktiv?» Dieser Frage ging Dr. Stephan Mumenthaler, Head Economic & Swiss Public Affairs Novartis in seinem Referat nach. Ein entscheidendes Stichwort für die Antwort lieferte er gleich zu Beginn: Der Standort Schweiz und unsere Region könne nur durch Innovation erfolgreich sein. Die Voraussetzungen für die Pharmabranche seien hier im Prinzip gut. Die Nordwestschweiz trage zu etwa 40 Prozent zur Forschung und Entwicklung in der Schweiz bei. Die Pharmaexporte konnten in den vergangenen 15 Jahren von 20 auf 75 Milliarden Franken verdreifacht werden. Die Entwicklungskosten neuer Medikamente seien allerdings sehr hoch und es dauere sehr lange, bis ein Medikament auf dem Markt sei. „Da braucht es Stabilität, ein gutes Bildungssystem, einen starken Patentschutz und die Möglichkeit, hochqualifizierte Mitarbeitende auch aus dem Ausland anstellen zu können.“ Die Rechtsunsicherheit nehme allerdings zu. Mit der MEI hänge ein Damoklesschwert über der Wirtschaft. „Die Bilateralen dürfen nicht gefährdet werden, sie sind für uns wichtig.“ Dank dem Abkommen über die technischen Handelshemmnissen müsse beispielsweise nicht jede Fabrik in jedem Land einzeln zertifiziert werden.
Thomas Cueni stellte im Modul „nachgeforscht“ die Frage, welche Bedeutung der an diesem Tag bekannt gewordenen Pfizer-Allergan-Deal für Novartis habe. Mumenthaler meinte, dies zeige die Wichtigkeit der Steuerfrage, denn die Übernahme von Allergan sei primär steuerlich motiviert. Die USA hätten sehr hohe Unternehmenssteuern, deshalb verlagere Pfizer mit der Übernahme seinen Steuersitz nach Irland.
Strom für Firmen günstiger
«Energie als Wettbewerbsfaktor» war das Thema von Dr. Suzanne Thoma, CEO der BKW. Die Energiebranche brauche Rechtssicherheit, um langfristig investieren zu können, forderte Thoma. Die Strompreise haben sich seit 2009 am Markt halbiert. Gleichzeitig investieren Stromproduzenten in den Erhalt der Produktionsinfrastruktur, um auch mikrokleine Stromausfälle zu verhindern, welche Millionenschäden anrichten können. Dazu gehört auch das Netz, das auf die Herausforderungen der dezentralen und fluktuierenden Produktion von Wind und Sonne auszurichten ist. Die Versorgungssicherheit sei kurzfristig gegeben. Mittel- bis Langfristig brauche es aber stabile Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit. Thoma sieht für die Energiebranche eine Lösung bei der Energieeffizienz. „Sie ist weltweit ein unglaublicher Wachstumstreiber und lukrativ. Die Wettbewerbssituation kann sich verbessern, wenn Lösungen angeboten werden, die es erlauben Energie effizienter zu nutzen.“
„Und das Stromabkommen mit der EU, wo steht dies?“ fragte Cueni. „Es stellt sich nicht die Frage, ob es ein Abkommen gibt, sondern ob wir den Marktzugang haben“, erwiderte sie. Diesbezüglich existiere eine gewisse Unsicherheit.
Kaum Zeit für Reformen
Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, Vizepräsidentin Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), setzte mit Ihrem Referat «Die Politik als Wegbegleiterin oder Bremserin der Wettbewerbsfähigkeit?» einen Schluss- und Kontrapunkt. Wir wurde gerade in der vergangenen Legislatur in der WAK stark von aktuellen Problemen um den Finanzplatz und vom Ausland getrieben“, sagte sie. Dazu gehörten die Auseinandersetzung mit den USA, die Lösung der „Too big to fail“-Problematik der Grossbanken oder die Reform der Steueramtshilfe. Mit der Anpassung an die Regeln der OECD mussten wir in der Folge zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen einzeln anpassen. Und nun stehen wir vor dem Durchbruch des Automatischen Informationsaustausches mit dem Ausland. Das wird wieder Anpassungen erfordern. In dieser gesetzgeberischen Hektik kamen die notwendigen Reformen für den Werkplatz, für die Industrie zu kurz“, meinte die SP-Nationalrätin ernüchtert. Man habe sich auch nicht getraut, die Agrarpolitik grundlegend zu reformieren. Da ständen zu viele heilige Kühe zur Debatte. Die Bauern erhielten drei Milliarden Subventionen, Konsumenten und Gewerbe müssten aufgrund überhöhter Preise zusätzlich zwei Milliarden zu viel ausgeben. Die Revision des Kartellgesetzes sei blockiert. Die Politik gebe auch da keine Antwort. Und bei der Integration der Frauen und der älteren Arbeitnehmenden in den Arbeitsmarkt seien wir „auch noch nicht da, wo wir sein wollen“. Und angesichts der Zuwanderungsproblematik auch sein sollten. Keine Antwort hatte die Politik auch auf den zu starken Franken, der den Werkplatz unter Druck setzt, Arbeitsplätze gefährdet und zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führt. Die Aufgabe des Mindestkurses des Euro zum Franken durch das Präsidium der Nationalbank wurde von der Politik mehrheitlich wie ein Naturgesetz akzeptiert.
Podiumsdiskussion
Das abschliessende Podium unter der Leitung von Olivia Kühni sorgte nochmals für richtigen Schwung. Es diskutierten Dr. Felix Brill, Peter Dietrich, Dr. Suzanne Thoma, Reto Conrad, Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer und Jürg Erismann, Leiter Standort Roche Basel/Kaiseraugst. Für Jürg Erismann sind qualifizierte Mitarbeiter das A und O: „Wir sind darauf angewiesen, dass wir diese auch im Ausland rekrutieren können.“ Suzanne Thoma warnte: „Die Auswirkungen des Hochpreis- und Hochlohnlandes, auch auf die Energiebranche, werden massiv unterschätzt. Der Strommarkt rechnet in Euro ab, die Produktion in der Schweiz fällt aber in Franken an. Wir können den Grimselsee nicht ins Ausland verlegen.“ „Viele bestehende oder neue Gesetze behindern den Handel“, fügte Reto Conrad an. Es müsse künftig sogar in der Päcklisuppe angegeben werden, woher die Zutaten kämen.Auf die Frage, wo die Wachstumspotenziale seien und was uns stark mache, antwortete Brill, „Wir müssen uns als Teil von Europa sehen!“
Roche baue in Kaiseraugst, im Kanton Aargau. Nicht in Baselland. „Was hat Baselland punkto Wirtschaftsförderung falsch gemacht?“, fragte die Politikerin Leutenegger Oberholzer. Erismann: „Es gibt da eine Historie.“ Roche habe Wurzeln in Basel; anfangs der 70er Jahre wurde bei Kaiseraugst Land gekauft und ein zweites Werk angesiedelt. Das richte sich nicht gegen einen Kanton. Auf die Forderung eines Zuhörers, dass Roche bei Abstimmungen zu Rahmenbedingungen für die Wirtschaft mehr öffentlich Stellung beziehen solle, erwiderte Erismann: „Wir haben schon eine gewisse Erwartung, dass die Masseneinwanderungsinitiative mit Augenmass umgesetzt wird. Unsere Botschaft ist diesbezüglich klar: Wir können ohne ausländische Arbeitskräfte nicht auskommen.“ Leutenegger Oberholzer konterte, dass man die Ängsten der Bevölkerung ernst nehmen und ihnen etwas entgegenhalten müsse. Die immer teureren Wohnungen und die Angst, von günstigeren ausländischen Fachkräften im Arbeitsmarkt verdrängt zu werden, sei für viele ein Problem.
Betreffend erneuter Anbindung des Frankens an den Euro zeigte sich die Nationalrätin erstaunt, dass diese praktisch unisono positiv angesehen wird. Die Kritik an der Nationalbank werde aber lauter, da stelle sich zu Recht die Frage, ob es mit einer Euroanbindung nicht mehr Rechtssicherheiten gebe und eine De-Industrialisierung der Schweiz verhindert werden könne. Von Eurolöhnen hält sie nichts, weil damit der Druck auf die Löhne anhalten werde. Damit würde die EU-Feindlichkeit geschürt, Anliegen wie die Bilateralen hätten so noch weniger Chancen. Zum Schluss drehte sich die Diskussion um die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Conrad warnte davor, dass inländische Arbeitspotenzial zu überschätzen. „Da müssen wir realistisch sein. Die Erwerbsquote ist bereits hoch, auch bei den Frauen, und die Arbeitslosigkeit ist relativ klein.“ Auf die Frage der Moderatorin, warum Frauen ein tiefes Arbeitspensum hätten, antwortete Thoma: „Weil es sich wegen den Kosten für die Kinderbetreuung und wegen der Steuerprogression für Frauen nicht lohnt mehr zu arbeiten.“