Basel Economic Forum 2019 "Daten als Wettbewerbsvorteil" Potenziale – Risiken – Rahmenbedingungen
Die Datenwelt ist extrem komplex geworden. Wie können wir das Vertrauen in die Digitalisierung gewährleisten?
Text: «metrobasel report 2019» (S. 8-14)
In Vertretung von Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann, die ihre Teilnahme am Basel Economic Forum 2019 kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, eröffnete Nicole Hostettler, Leiterin des Amts für Wirtschaft und Arbeit AWA, im Namen der Regierung des Kantons Basel-Stadt das BEF 2019. Sie zeigte in ihrer Rede auf, wie der Kanton Basel-Stadt den Herausforderungen der Digitalisierung begegnet: Der Staat sammle bei der Erfüllung seiner Aufgaben grosse Mengen an Daten. Damit sich deren volles Potenzial entfalten könne, müssten diese Daten für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Diese Open Government Data (OGD) eröffneten die Chance auf mehr Teilhabe und Transparenz für den Einzelnen und könnten Impulse für neue Geschäftsmodelle und Innovationen liefern und damit einen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts leisten. Da es sich bei Open Government Data jedoch um das Eigentum der Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons handle, sei bei deren Bearbeitung grösste Sorgfalt angezeigt. Die Wichtigkeit von Daten erschöpfe sich aber nicht nur in deren Aufbereitung für Dritte, sondern erleichtere auch die Erfüllung staatlicher Aufgaben: Eine ganzheitliche Interpretation von Datenmaterial sei die Basis einer evidenzbasierten Politik, also die Grundlage für effizienteres, kundenfreundliches und bedarfsgerechtes Verwaltungshandeln.
Regula Ruetz, Direktorin metrobasel, führte anschliessend in die Thematik des BEF 2019 ein und stellte fest, dass die Datennutzung derart bewegt, weil sie uns alle etwas angeht: «Alles, was sich digitalisieren lässt, wird irgendwann digitalisiert. Damit gehen viele Vorteile einher, die das Leben vereinfachen. Aber nicht nur, weshalb die Kunst darin besteht, die Datennutzung so zu regulieren, dass sie dem Menschen und der Gesellschaft einen Mehrwert bringt und möglichst wenig Schaden verursacht.» Digitalisierung dürfe dabei keinesfalls als Modeerscheinung oder Hype abgetan werden – und sie sei vor allem auch nichts Neues. Die Digitalisierung begleite uns seit mittlerweile bald 40 Jahren: In einer ersten Welle hielten Personal Computer Einzug in Büros und Wohnzimmern. Mit dem Internet wurde in einer zweiten Welle in den 1990er-Jahren die Dotcom-Ära eingeläutet. 2007 revolutionierte das erste iPhone unser Nutzerverhalten. Gleichzeitig machten neue Mobilfunkgenerationen das Internet mobil. Die Datenproduktion explodierte. Der Grundstein war gelegt für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die wir als 4.0 – die 4. industrielle Revolution – bezeichnen. Die Digitalisierung sei dabei nicht wie die Schlüsseltechnologien der vergangenen Jahrhunderte auf einen Zweck beschränkt – etwa, um mittels Dampfmaschinen von A nach B zu kommen. Die Datennutzung erlaube sehr viel ergebnisoffenere Anwendungen: Gegenstände, Prozesse oder Dienstleistungen, ja auch gesamte städtische Infrastrukturen würden bereits heute in grossen Teilen digital über Daten ferngesteuert. Die Zukunft sei vernetzt und smart, die Nutzung von Daten ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Ruetz sprach aber auch die negativen Seiten der Digitalisierung an: Die digitale Revolution schaffe eben nicht nur neue Geschäftsfelder für das nächste Google, sondern auch für kriminelle, nachrichtendienstliche, machtpolitische oder terroristische Zwecke. Via elektronische Netzwerke ausgeführte Manipulationen und gezielte Angriffe seien Risiken, mit denen eine Informationsgesellschaft per se konfrontiert sei. Deshalb sei es von ausserordentlicher Wichtigkeit, dass Politik, Wirtschaft aber auch die Gesellschaft sich mit den Potenzialen, Risiken und Rahmenbedingungen der Datennutzung auseinandersetzten.
ICT made in China und Forschung aus der Schweiz
Zu Beginn seines Referats ging Felix Kamer, Vizepräsident von Huawei Schweiz, auf das Geschäftsfeld von Huawei ein: «Das mittlerweile 40 Jahre alte Unternehmen mit rund 190’000 Mitarbeitern verdient sein Geld nicht mit Daten an sich, sondern mit der Infrastruktur, die für deren Transport notwendig ist. Denn ICT (Information and Communication Technology), das Kerngeschäft von Huawei, ist die Haupttechnologie der Digitalisierung.» In der Schweiz arbeite Huawei zusammen mit Swisscom am Ausbau des Glasfasernetzwerks, erklärte Kamer. Darüber würden in den urbanen Gegenden die Haushalte direkt an das Netz angeschlossen. In den ländlichen Gebieten allerdings führe das Glasfasernetz nicht bis in die Haushalte, die Feinverteilung erfolge dort nach wie vor via bestehende Kupferkabel. Mit Sunrise stehe der Aufbau des 5G-Mobilnetzes im Vordergrund, wobei 5G eine Schlüsseltechnik für den digitalen Umbau sei: Sie erlaube grössere Bandbreiten, um das Datenvolumen zu bewältigen, das sich im Mobile-Bereich jedes Jahr verdopple, oder auch um datenintensive Anwendungen wie beispielweise Virtual Reality zu ermöglichen. Zudem würden mit 5G die Übermittlungs- und Verzögerungszeiten massiv verkürzt. Eine Anwendung, die von diesen technischen Fortschritten profitiere, sei beispielsweise smart agriculture: Dabei würden Drohnen über Felder fliegen, um Schädlingsbefall zu erkennen. Dies ermögliche eine gezieltere Schädlingsbekämpfung und damit verbunden eine Reduktion des Herbizideinsatzes um den Faktor 80. Prof. Dr. Rolf Dornberger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der FHNW, wollte im Rahmen des «nachgefragt»-Formats im Anschluss an das Referat mehr über die disruptive Kraft von 5G wissen, worauf Kamer erwiderte: «5G eröffnet zahlreiche Innovationsmöglichkeiten für Unternehmen. Prozesse, Maschinen und Informationen lassen sich vollständig vernetzen und automatisieren. Einzelne Elemente wie Cloud, Sicherheit, Datenmanagement oder das Internet der Dinge (IoT) werden dank 5G zu einem Ganzen. Die 5. Generation des Mobilfunkstandards hat damit das Potenzial, unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben mit ganz neuen Business-Modellen und Geschäftsfeldern zu revolutionieren».
Digitalisierung ist eine Vertrauenssache
«Gold ist wertvoll, weil wir in dessen Wert vertrauen. Das Vertrauen in die neue Cyber-Ära muss zuerst noch geschaffen werden.» Mit dieser Metapher eröffnete Phillipe Borloz, Vice President Sales und General Manager EMEA der Kudelski Gruppe, sein Referat zum Thema «Erfolgreiche Digitalisierung, eine Vertrauenssache». Wir seien im Begriff, eine always on-Gesellschaft zu werden: Smart TVs, Smart Cars, digitale Assistenten von Siri bis Alexa – beinahe jeder Lebensbereich werde mittlerweile aufgezeichnet. Damit stelle sich die drängende Frage, wer unter welchen Umständen auf diese Daten Zugriff haben darf. Das chinesische Uber-Pendant höre im Taxi-Innern beispielsweise mit, um Gewalttaten gegen Chauffeure zu verhindern – und das mit beachtlichem Erfolg. Angesichts solcher Möglichkeiten müssten wir uns zwingend die Frage stellen, wieviel Überwachung uns unsere Sicherheit wert sei; und an wen wir im Gegenzug die Verantwortung für unsere Freiheit in der digitalen Welt delegieren wollen – an Firmen, Staaten oder Private? Die fortschreitende Digitalisierung schaffe allerdings nicht nur neue Überwachungsmöglichkeiten, deren Einsatzgebiet gesellschaftlich verhandelt werden müsse. Sie verändere auch die Bedrohungslage: Es gelte insgesamt, ein Bewusstein für Cyber-Risiken zu schaffen, denn bei den globalen Risiken gehörten Cyber-Attacken und data fraud zu den fünf Toprisiken, mit denen vor allem Unternehmen konfrontiert seien. Hacker würden immer professioneller und die Bereiche Banking, Energie, Staat und Softwareunternehmen seien dabei die häufigsten Angriffsziele. Was die Fortschritte im Sicherheitsbereich angehe, gebe es allerdings auch good news: konnten Eindringlinge 2011 in einem gehackten Firmennetzwerk noch im Schnitt 416 Tage unentdeckt wirken, so seien es 2018 nur noch 78 Tage. Diese good news veranlassten Prof. Dr. Rolf Dornberger nachzufragen, wann es denn soweit sein würde, dass die Eindringlinge bereits am ersten Tag entdeckt würden. Borloz gab daraufhin zu bedenken, dass die Cyber-Sicherheit nicht von heute auf morgen geschaffen werden könne: Bis Autos den Sicherheitsstandards von heute entsprochen hätten, dauerte es 100 Jahre. Entsprechend seien ebenfalls noch ein paar Jahre Entwicklungsarbeit notwendig, um einen vergleichbaren Standard im Cyber-Bereich zu implementieren.
Hack me if you can
Ivan Bütler, Geschäftsführer der Compass Security AG, zeigte im Rahmen einer Live-Performance auf, wie einfach sensible Daten beispielsweise aus einem einfachen Webshop gestohlen werden können und wie wenig Wissen es brauche, um schlecht geschützte Webseiten zu hacken. Sollen allerdings besser geschützte Ziele angegriffen werden, so sei aufgrund von Firewalls das Eindringen durch die Vordertür ungleich schwieriger. Viel effektiver sei es dann beispielsweise, eine Fake-Bewerbung auf einem USB-Stick zu versenden. Sobald der Stick von einem Mitarbeiter der zu attackierenden Firma in einen Rechner eingesteckt würde, beginne die Schadsoftware über den Computer des Gehackten ein Loch durch die Firewall zu Daten des Unternehmens zu bohren. Damit habe der Angreifer dann ungestörten Zugriff auf das Firmennetzwerk. Diese social engineering genannte Methode sei die bei weitem effektivste Methode, um an geheime Informationen wie beispielsweise Passwörter zu gelangen und sie schlage rein technische Angriffe in Sachen Geschwindigkeit um Längen. Die Abwehr von social engineering-Attacken sei äusserst schwierig sicherzustellen, umso mehr, wenn der Hacker es verstehe, mit einer guten Geschichte als Beilage des USB-Sticks den Adressaten zu überzeugen, den Stick anzudocken. Den wichtigsten Beitrag zur Bekämpfung von social engineering würde somit jeder einzelne liefern, indem er Identität und Berechtigung eines Absenders überprüfe. Auch sollten scheinbar geringfügige und nutzlose Informationen Unbekannten nicht offengelegt werden, denn diese Angaben könnten zum Aushorchen anderer missbraucht werden. Mit dem Risiko gehackt zu werden, müsse aber grundsätzlich jeder leben – ob Privatperson, Unternehmer oder Politiker. Die Cyber-Welt sei nun mal auf business opportunities ausgelegt und nicht auf Sicherheit. Die vielen Einfallstore und Schwachstellen, die von den Angreifern bereitwillig ausgenützt würden, seien im Grunde Systemfehler, weshalb die Antwort nur security by design lauten könne: Bei der Entwicklung von Hard- und Software müsse von Anfang an darauf geachtet werden, dass die Systeme so frei von Schwachstellen wie möglich seien und so unempfindlich gegen Angriffe wie möglich konzipiert würden. Im abschliessenden «nachgefragt» wollte Prof. Dr. Rolf Dornberger wissen, wie sich der gemeine User am besten vor Hackern schützen könne. Bütler antwortete kurz und knapp: Indem dieser nicht einfach ohne zu überlegen auf alles klicke, was sich zum Öffnen anbiete.
Breakout Session 1 / Datennutzung: Wettbewerbsvorteile für Wirtschaft und Gesellschaft
Moderator Nicolas Zahn, Co-Leiter der Arbeitsgruppe Digitalisierung, Operation Libero, eröffnete die Breakout Session mit der Frage, wie die Diskussionsteilnehmer Daten gewinnbringend für ihre Organisation einsetzten. Das Statistische Amt der Stadt Basel bereite Daten auf und stelle diese zur Verfügung; die Stadt bekenne sich damit zu Open Government Data (OGD), also zu öffentlich zugänglichen Daten, hielt Dr. Madeleine Imhof, Leiterin des Statistischen Amts des Kantons Basel-Stadt, fest. Stefan Metzger, Smart City-Experte, ergänzte, dass auch die Mobilfunknetzbetreiber Daten zur Verfügung stellen würden. Prominentes Beispiel hierfür sei das Erstellen von annonymisierten Mobilitätsströmen basierend auf Betriebsdaten des Mobilfunknetztes. Daraus könnten beispielsweise wertvolle Erkenntnisse für die Mobilitätsplanung gewonnen werden. Dr. Stephan Mumenthaler, Direktor scienceindustries, legte den Fokus auf den Bereich Forschung. Dort würden Unmengen an Daten generiert, die einen völlig neuen Möglichkeitsraum erschlössen. Wie gross dieser am Ende ausfalle, bestimmten allerdings in der Hauptsache die herrschenden Rahmenbedingungen – sprich die Regulierungen. Gemäss Mumenthaler hätten Daten immer noch das Image des Bösen. Das müsse sich unbedingt ändern. So würden in der Schweiz 10% unseres Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgegeben. Wir wüssten allerdings nicht, worin die Gegenleistung für diese 60 Milliarden Franken genau bestehe. Jeder Player im Gesundheitsmarkt betreibe eine eigene Datenerfassung. Überall lägen Daten verstreut: bei Spitälern, Ärzten, Krankversicherungen, aber diese würden und dürften nicht zusammengeführt werden. Die Diskussion zum elektronischen Patientendossier zöge sich beispielsweise seit Jahren ohne konkretes Resultat hin. Stefan Metzger ortet beim Thema Datennutzung ein ambivalentes Verhältnis: Bezüglich des Potenzials, das Daten böten, herrsche weitgehend Einigkeit. Trotzdem überwögen regelmässig die Sorgen, dass Daten missbräuchlich genutzt würden. Wenn früher vorwiegend ein Misstrauen gegenüber dem Staat bestanden habe, so richte sich dieses nun vermehrt gegen Privatunternehmen. Mit der Bevölkerung müsse unbedingt der transparente Dialog zum Thema «Datennutzung» gesucht werden. Denn nachhaltiges Vertrauen könne nur gewonnen werden, indem der Einzelne an einen mündigen Umgang mit seinen eigenen Daten herangeführt werde.
Breakout Session 2 / Datennutzung:
Risiken und Regulierung
Moderator Prof. Dr. Beat Rudin, Datenschutzbeauftragter des Kantons Basel-Stadt, lancierte die Breakout Session, indem er auf drei Themenkreise einging, die in Zusammenhang mit jeder Art von Regulierung diskutiert werden müssen: 1. Die Abhängigkeiten gegenüber dem Ausland; 2. Das notwendige Vertrauen in den Staat als wichtige Voraussetzung für Regulierungen; 3. Das Bewusstsein jedes einzelnen bezüglich der von ihm preisgegebenen Daten. Jonas Eckenfels, von der Fachstelle Open Government Data Basel-Stadt, griff den Vertrauensaspekt auf und ortete die grösste Herausforderung für den Staat als Datensammler im Spagat, den dieser zwischen dem Datensammeln und dem gleichzeitigen Anonymisieren zu vollführen habe: Bei der Veröffentlichung von Daten dürften keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen möglich sein, währenddessen gleichzeitig der Anspruch bestehe, aus den Daten möglichst detaillierte Analysen zu liefern und so Wissen zu generieren. Jörg Lutz, Oberbürgermeister der Stadt Lörrach, stellte fest, dass in unserer westlichen Gesellschaft ein kritisches Denken gegenüber dem Staat als Datensammler herrsche, jedoch liessen wir die privaten Unternehmen gleichzeitig kaum hinterfragt gewähren. Dieser Umstand gleiche der historischen Situation des Manchester-Kapitalismus, wo die Unternehmen über lange Zeit freie Hand hatten. Erst als die Gewerkschaften Druck ausgeübt hätten, seien Regulierungen eingeführt worden. Diese ungleich langen Spiesse bei der Datennutzung seien hinderlich auf dem Weg zu einer Smart City, mit der wir viele unserer heutigen Probleme in Umwelt- und Mobilitätsfragen lösen könnten. Wäre da nämlich eine Datenerhebung sowie Aufbereitung möglich, würde ein grosser Mehrwert für die gesamte Bevölkerung resultieren. Diesen Mehrwert gelte es überzeugend zu kommunizieren, damit der Einzelne Vertrauen fassen könne und eine solche Entwicklung mittrage. Prof. Dr. Beat Rudin erwiderte darauf, dass die regulatorischen Grenzen durchaus fliessend verlaufen könnten. So liessen sich je nach Anwendung und bei entsprechender Anonymisierung beispielsweise auch heute schon Aufnahmen von Autos im Verkehr für die smarte Verkehrslenkung erfassen. Ivan Bütler, der in seiner Rolle als IT-Sicherheitsberater zwar von jedem weiteren Digitalisierungsschritt profitiert, steht solchen Entwicklungen gleichwohl kritisch gegenüber. Er sei überzeugt, dass wir überfordert seien und nicht mit letzter Konsequenz überblicken können, was es bedeute, wenn unsere Daten überall hinterlegt und ausgewertet würden. Viele seien momentan noch bereit, für eine kleine Gegenleistung sehr viel von sich preiszugeben. Welche Gegenleistung die Preisgabe unserer Daten tatsächlich wert sei, diese Diskussion werde allerdings in Zukunft neue Dimensionen erreichen. Als Beispiel nannte er die Krebsfrüherkennung mittels eingepflanzter Chips. Wenn dies möglich werde, würde auch das Verhältnis zwischen Datenschutz und persönlichem Gewinn neu ausgehandelt werden.
Panel-Diskussion: Digitalisierung – Technologische Entwicklungen und die Sicherheit unserer Daten
Moderator Prof. Dr. Rolf Dornberger, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der FHNW, befragte die Panelteilnehmer, ob die Sicherheitsmassnahmen bezüglich unserer Daten mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten würden. Philippe Borloz, Vice President Sales und General Manager EMEA der Kudelski Gruppe, ortete in der Bankenbranche das beste Verhältnis zwischen dem Grad an Digitalisierung und den umgesetzten Sicherheitsstandards. Dies sei allerdings auch nicht verwunderlich, da kaum eine Branche so stark reguliert sei wie die Bankenbranche. Bruno Tissot, Head of Statistics and Research Support bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ, bestätigte diese Aussage und erklärte, dass bei der BIZ besonders sensible Daten auf einem separaten Netzwerk abgelegt würden. Ohnehin würde überwiegend mit anonymisierten Daten gearbeitet, da diese für die Analysezwecke völlig ausreichend seien und eine Personalisierung keinen Mehrwert mit sich brächte. Man sei allerdings auch trotz Einsatz modernster auf Big Data Analysis-Techniken beruhender Schutzmechanismen nicht zu 100 Prozent vor Attacken gefeit. Auf Dornbergers Frage, wie denn ein mehr an Sicherheit in unserer vernetzten Welt zu erreichen sei, antwortete Felix Kamer, Vizepräsident von Huawei Schweiz, dass die Weiterentwicklung der IT-Sicherheit vor allem auf den drei folgenden «Ps» beruhe: People (das Bewusstsein), Products (sicher designte Produkte), Protocol, (normierte Sicherheitsabläufe). Diese drei Ps müssten fest in die Firmenprozesse integriert sein. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die grösste Schwachstelle der Mensch sei – also der Mitarbeiter selbst. Deshalb sei es oberste Priorität, durch gezielte Schulungen und Tests bei den Mitarbeitenden ein dahingehendes Bewusstsein zu schaffen.
Wer ist für die digitale Sicherheit verantwortlich?
Regierungsrätin Kathrin Schweizer, Vorsteherin der Sicherheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft, eröffnete das Nachmittagsprogramm. In ihren Ausführungen ging sie auf Sicherheitsaspekte der Digitalisierung ein und mahnte, der Mensch tendiere dazu, das Positive in den Vordergrund zu stellen: Wir würden die digitale Revolution mit euphorischem Unterton begrüssen, die neuesten Produkte der IT-Unternehmen stets aufs Neue bejubeln, während gleichzeitig kaum eine Woche ohne eine Datenklau- oder Leckmeldung vergehe. Unklar sei, wer für die digitale Sicherheit des Einzelnen zu bürgen habe. In Unternehmen herrsche die Ansicht, dass Partner-, Kunden- und weitere Daten mittlerweile quasi im Alleingang über Gedeih und Verderb entschieden. Dies dürfe aber nicht zu einem sorglosen Umgang mit Daten führen, der dann zum Nachteil derjenigen werde, die man zur Preisgabe ihrer Daten animiere. Die Konsequenzen der Digitalisierung richtig einzuordnen, sei nicht allein die Aufgabe der Anwenderinnen und Anwender. Wer Daten aus unternehmerischem Interesse sammle, der habe auch die Pflicht, über deren Nutzung Transparenz zu schaffen. Nur mit dem richtigen Mass an Vertrauen liesse sich das volle Potenzial der Digitalisierung erschliessen – und das ist eine Voraussetzung, die für das Bestehen im weltweiten Konkurrenzkampf zwingend notwendig ist.
Big Data ist nicht gleich Wissen.
Unter dem Begriff big bata verstehe man Daten, die in großer Vielfalt, in grossen Mengen und mit hoher Geschwindigkeit anfallen, erklärte Bruno Tissot, Head of Statistics and Research Support bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ. Diese Datensätze seien so umfangreich, dass klassische Datenverarbeitungssoftware sie nicht verwalten könnten. Unter Verwendung von machine learning und anderen data analytics-Verfahren würde uns big data allerdings erlauben, Problemstellungen anzugehen, deren Lösung bislang ausser Reichweite lag. Tissot führte aus, dass die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Aufgabe hätte, die Zentralbanken der Mitgliedsländer in ihrem Streben nach Währungs- und Finanzstabilität zu unterstützen. Und genau in diesem Bereich läge das Potenzial von big data: Die Finanzmärkte könnten in einem bisher ungekannten Umfang überwacht werden, es liessen sich makroökonomische Forecasts erstellen, aus welchen wiederum granulare Informationen zu einer spezifischen lokalen Fragestellung abgeleitet werden können. Big data erlaube beispielsweise auch das Simulieren des Finanzsystems. Damit könnten die Auswirkungen eines externen Schocks modelliert werden – wie die Finanzkrise von 2008 einer war – mit dem Ziel, adäquate Gegenmassnahmen zu entwickeln. Im «nachgefragt» wollte Prof. Dr. Rolf Dornberger wissen, wo sich in der unfassbar grossen Datenmenge – genannt big data – denn die relevanten Erkenntnisse versteckten. Tissot stellte klar, dass die gesuchten Antworten eben gerade nicht per se in den Rohdaten enthalten seien. Seine Arbeit stehe deshalb unter dem Motto «Connecting the dots, not just collecting them». Nur auf diese Weise können aus Daten Information und aus der Information Wissen extrahiert werden.
Auf dem Weg zur digitalen Bundesverwaltung
Dirk Lindemann, Direktor des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation, definierte die Digitalisierungsstrategie auf Bundesebene wie folgt: Digitalisierung erschöpfe sich nicht darin, dass man Papier einfach auf den Bildschirm bringe. Vielmehr gehe es um eine end-to-end-Vernetzung, wie sie beispielsweise in der Reisebranche bei den Buchungsvorgängen bereits verwirklicht sei. Auch sei es nicht das primäre Ziel, Personal einzusparen. Denn die Bundesverwaltung werde stets mit neuen Aufgaben konfrontiert, ohne dass mehr Personal zur Verfügung stünde. Weil einfachere Aufgaben mit Hilfe der Digitalisierung automatisiert würden, stehe die Umschulung des vorhandenen Personals für komplexere Aufgaben im Vordergrund. Oberster Anspruch des Bundes sei es dabei, einen Mehrwert für den Bürger zu kreieren. Grosse Nachfrage bestehe insbesondere bei e-Government-Angeboten, denn kaum jemand gehe gerne auf öffentliche Ämter, um seine Angelegenheit zu erledigen. Mit einer durchdachten Digitalisierungsstrategie, die auch die Arbeitskultur angemessen berücksichtige, liessen sich wesentliche Kosteneinsparungen realisieren. gegenüber Dornberger betonte Lindemann in der Rubrik «nachgefragt», dass ein zeitgemässer Digitalisierungsstand nicht nur im nationalen Interesse liege, sondern vor allem auch wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes sei – denn nebst Steuern werde immer mehr auch der Digitalisierungsgrad eines Landes zum wesentlichen Faktor, wenn sich Unternehmen für ihren Firmensitz entschieden.
Die moderne Medizin ist auf Daten angewiesen.
Zu Beginn seines Referats zitierte Dr. Stephan Mumenthaler, Direktor von scienceindustries, Severin Schwan, CEO der Roche. Dieser sähe den Wirtschafts- und Forschungsplatz Schweiz in Gefahr, weil es mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu langsam vorwärtsgehe, womit ein schleichender Abbau von hochqualifizierten Stellen in der Pharmabranche drohe. Mumenthaler führte deshalb aus, dass für den Standort Schweiz vor allem die Äquivalenz mit der EU in Sachen Datenschutzgesetz wichtig sei. Daten müssten zirkulieren können – gerade auch über Landesgrenzen hinweg. Habe Forschung bis anhin auf klinischen Studien basiert, so gelte es nun zunehmend, Wissen für die personalisierte Medizin aus Daten zu extrahieren. Für diesen Zweck sei das Poolen von Daten unumgänglich. Ein Forschungsnetzwerk spanne sich üblicherweise um den ganzen Globus. Deshalb dürfe das neue Schweizer Datenschutzgesetz kein swiss finish aufweisen. Auf Dornberges «nachgefragt» hin, was denn die Konsequenzen eines allzu resoluten Gesetzes wären, warnte Mumenthaler: «Ein zu stark ausgebauter, nicht international abgestimmter Datenschutz verhindert, dass die personalisierte Medizin auf der bestmöglichen Datenlange basiert – zum Nachteil von schwer kranken Menschen».
Daten verändern die politische Kampagnenführung
Von Studenten im Jahr 2014 gegründet, sei das Kerngeschäft der Operation Libero die politische Kampagnenführung, erklärte Nicolas Zahn, Co-Leiter der Arbeitsgruppe Digitalisierung bei der Operation Libero. Das Führen einer Kampagne bedeute, mittels orchestrierter Aktivitäten auf die Meinungsbildung einzuwirken, um politische Entscheide herbeizuführen. Dieses Ziel kann für eine kleine Organisation mit beschränkten Mitteln nur erreicht werden, wenn das Potenzial der Digitalisierung voll ausgeschöpft werde. Dazu gehöre zuerst einmal das storytelling, denn nur in gute Geschichten verpackte Ideen würden über die modernen Medien geteilt und erreichten unter geringem Mitteleinsatz eine grosse Reichweite. Den geeigneten Zeitpunkt für eine Kampagne bestimme die Operation Libero per Datenauswertung: Beim so genannten «Themen Monitoring» würden politische Themen auf Ihre Aktualität und Resonanz geprüft und danach Kampagnen lanciert oder verschoben. Mithilfe von Google Trends, könne herausgefunden werden, wann und wie häufig nach gewissen Begriffen gesucht werde. Dieselben Erkenntnisse liessen sich auch aus Twitter oder Facebook gewinnen. Ist eine Kampagne im Gange, sind hunderte an Freiwilligen zu koordinieren. Die Operation Libero bewältigt auch diese Herausforderung unter Verwendung von Datenmaterial. Aus vergangenen Aktionen wisse man jederzeit, welche Personen wann für anstehende zur Verfügung stünden. Prof. Dr. Rolf Dornberger gab im «nachgefragt» zu bedenken, dass in der Politik nicht nur gute Geschichten, sondern auch fake news Reichweite generieren könnten. Zahn betonte hierauf, dass die Operation Libero bei der Themenaufbereitung besonders grossen Wert auf die Faktentreue lege. In Zeiten von Social Media könne mit fake news zwar durchaus eine enorme Reichweite generiert werden, doch der nächste Shitstorm – und damit der unwiderrufliche Imageschaden – lauerten hinter jeder Ecke. Vertrauen sei deshalb nicht nur im Umgang mit Daten das wichtigste Gut, sondern auch bei der Kampagnenführung im politischen Umfeld.
Das Dilemma der Datennutzung
Laut Stefan Metzger, Smart City Experte, sei das vorherrschende Bild, dass Daten nur der individualisierte Werbung dienten, schon lange überholt. Aus Daten könne bedeutend mehr nützliches Wissen extrahiert werden, wenn verschiedene Datensätze richtig kombiniert würden. Wenn es allerdings um unsere Einstellung gegenüber den Datensammlern gehe, dann sei diese oft etwas schizophren: Einerseits wolle man dem Staat so wenige Daten wie möglich überlassen, gleichzeitig lege man aber gegenüber Internetgiganten via Smartphone, Tablet oder PC alle möglichen Daten zu beispielsweise Mobilitäts- und Einkaufsverhalten oder sensible Informationen bezüglich des eigenen Gesundheitszustands offen. Prof. Dr. Rolf Dornberger hakte im «nachgefragt» hier ein und bat Metzger, diese Informationsdifferenz zu illustrieren: Metzger führte anhand seiner Katze aus, dass der Staat mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht einmal von deren Existenz wisse, währenddessen Google aufgrund seines Online-Verhaltens Name, Alter und Essgewohnheiten der Katze kenne. Metzger zeigte sich überzeugt, dass in der Kombination dieses Wissens enormes Potenzial liege. Allerdings braucht es Transparenz und Aufklärung, damit der einzelne Bürger nicht nur über seine Daten bestimmen kann, sondern diese auch dem Staat zugänglich macht und somit gesellschaftlichen Mehrwert schafft.
Podiumsdiskussion:
«Standort Basel – Chancen und Risiken auf dem Weg zum führenden digitalen Innovationshub» mit Oberbürgermeister Jörg Lutz, Stadt Lörrach (DE) • Felix Kamer, Vice President Huawei Switzerland • Dirk Lindemann, Direktor Bundesamt für Informatik und Telekommunikation BIT • Dr. Stephan Mumenthaler, Direktor Sienceindustries • Nicolas Zahn, Co-Leiter der Arbeitsgruppe Digitalisierung, Operation Libero • Lukas Ott, Leiter Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt (Moderation)
Der Bürger misstraue eher dem Staat und sei in Bezug auf die Wirtschaft sehr viel freigiebiger, konstatierte Lörrachs Oberbürgermeister Jörg Lutz zu Beginn der Podiumsdiskussion. Deshalb sei Transparenz bei der Datenverarbeitung in Lutz‘ Augen ebenso wichtig wie der permanente gesellschaftliche Dialog zur Datennutzung. Wüssten die Bürger nämlich immer genau, wofür ihre Daten erhoben werden und sähen sie dadurch einen persönlichen Nutzen, wären die Bedenken gegenüber dem Staat als Datensammler weniger gross. Um die Problematik zu illustrieren, nannte Lutz den 2020 geplanten neuen Bus von Lörrach zum Euro-Airport: Mit den zur Verfügung stehenden Informationen könne er nicht sagen, ob der Fahrplan passe oder die Streckenführung Sinn mache. Er sei sich aber sicher, dass die potenziellen Nutzer des Busangebots ihre Daten gerne zur Verfügung stellen würden, wenn damit das Angebot von Beginn an den Nutzerbedürfnissen entspreche. Felix Kamer, der ein Jahr in der chinesischen 13-Millionen-Stadt Shenzhen gelebt hat, betonte die Notwendigkeit der Datenauswertung für stadtplanerische Zwecke: Shenzen, der Firmensitz von Huawei, wachse jährlich um mehrere 100’000 Einwohner. Ohne eine umfassende Datenerhebung sei in dieser Dimension eine effiziente Stadtplanung schlicht unmöglich. Deutschland und die Schweiz seien von Herausforderungen dieser Grössenordnung zwar noch weit entfernt, gleichwohl liessen sich auch hierzulande Städte intelligent weiterentwickeln. Dirk Lindemann wies in diesem Zusammenhang auf die Datensouveränität hin. Es sei enorm wichtig – weil vertrauensbildend – dass dem Bürger möglichst viel Selbstbestimmung in Bezug auf die Verwendung der eigenen Daten zukomme. Es müsse überzeugend kommuniziert werden, wie viel Sorgfalt der Staat bei der Datenverarbeitung walten lasse. Harmlos erscheinende Daten seien im falschen Kontext gefährlich. Mit dem entsprechenden Mass an Anonymisierung seien keinerlei Rückschlüsse mehr auf den einzelnen Bürger möglich und gleichwohl könnte das Potenzial der Daten beispielsweise für die intelligente Weiterentwicklung der staatlichen Dienstleistungen ausgeschöpft werden. Bezüglich e-Government-Angeboten würde man bei den Bürgern ja bereits offene Türen einrennen. Die Akzeptanz sei derart gross, weil sich Behördengänge vermeiden liessen – also ein konkreter Nutzen erkennbar sei. Es brauche mehr Mut zur Innovation. Deshalb müsse auch auf Verwaltungsebene vermehrt der Versuchsmodus angewendet werden – selbst wenn dort das Prinzip «Trial & Error» nicht gerne gesehen werde. Der Moderator Lukas Ott wollte von Felix Kamer wissen, wo denn der Standort Schweiz im Wettbewerb der Digitalisierung stehe. Kamer erwiderte, dass die Schweiz über eine ausgezeichnete ICT-Infrastruktur (Information and Communication Technology) verfüge. Die Konsumenten seien technikbegeistert und verfügten über die entsprechenden finanziellen Mittel. Uns würden allerdings jene Unternehmen fehlen, deren Geschäftsmodell primär auf Daten basiere – die also explizit data driven seien. Wenn wir uns als digitale Gesellschaft weiterentwickeln wollten, dann führe kein Weg daran vorbei, Technik einfach einmal einzusetzen und auch Fehler in Kauf zu nehmen. Dr. Stephan Mumenthaler pflichtete Kamer bei und forderte Visionen: Wieso soll die Schweiz nicht zum safe haven für Daten werden – analog dem Bankgeheimnis? Die Schweiz sei ein politisch ausgesprochen stabiles Gefüge, die Rechtslage sei klar und voraussehbar. Würde die Wirtschaft bei ihren datenbasierten Diensten zudem für Transparenz sorgen und dem Konsumenten Wahlfreiheit zugestehen, so ergäbe sich aus diesem Paket ein enormer Standortvorteil. Nicolas Zahn stiess in dieselbe Kerbe und meinte: Von einem anfänglichen Techno-Optimismus würden wir nun zu einem Techno-Pessimismus tendieren. Die Digitalisierung sei aufgrund ihrer Komplexität stets schwierig zu vermitteln. Umso mehr müsse die Bevölkerung frühzeitig in die Diskussion eingebunden werden. Jörg Lutz fasste die Diskussion treffend zusammen: «Wenn Daten erkennbar fürs Gemeinwohl und nicht vorwiegend für ökonomische Interessen genutzt werden, dann wird der Bürger positiv darauf reagieren. Die Folge wäre ein Ruck durch die Gesellschaft, der uns auf dem Weg zu einer gelungenen digitalen Transformation einen Schritt weiterbringt.»